LAV

Ressource der Außenpolitik

Die Aufgaben und die Bedeutung des Lateinamerika Vereins*1 in den 70er Jahren

Hat sich die Bundesrepublik Deutschland viele Jahre dem Wiederaufbau ihres Landes und eines Staatsapparates gewidmet, beschäftigt sich die Regierung in den 1960ern mit dem weiteren Ausbau außenpolitischer Kontakte. Nur wird diese Außenpolitik stark durch den Ost-West-Blick bestimmt und alle anderen Interessen werden dem Wunsch nach einer Wiedervereinigung untergeordnet. Der definitive Perspektivwechsel erfolgt erst nach Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik Anfang der 70er Jahre. Nur ein Politiker handelt weit im Voraus.

Der Kontext für die Rolle des Lateinamerika Vereins (LAV)

Walter Scheel*2 hat sich bereits vor seiner Zeit als Außenminister (1969 bis 1974) in den Jahren des Wirtschaftswunders zusätzliche Prioritäten gesetzt und die Entwicklungspolitik zu seinem ureigenen politischen Handlungsfeld deklariert. In seiner Funktion als erster Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von 1961 bis 1966, sieht er den Wert alter Verbindungen nach Lateinamerika - vor allem in Bezug auf den Aufbau einer Entwicklungshilfe. Unter seiner Führung wird diese zur Staatsaufgabe erklärt und hier benötigt er Fachwissen aus erster Hand.

Durch Scheels Entwicklungsschwerpunkt Lateinamerika entwickelt sich der Ibero-Amerika-Verein (IAV) - heute LAV - zu einem der ersten Ansprechpartner in Sachen wirtschaftlicher, industrieller Zusammenarbeit, die seinerzeit als wirksame Entwicklungshilfe gesehen wird. Es kommt einiges in Bewegung. „Fragen der Entwicklungshilfe wird [werden] in der Arbeit des Vereins besondere Bedeutung beigemessen“, so steht es schon in einem Flyer des IAV (LAV) 1964. Auch das vom Verein 1962 gegründete IIK*3 unterstützt bis in die 90er diese Ziele durch eine länderbezogene, anwendungsorientierte Forschung aus dem Blickwinkel der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. "Gute Politik braucht den ständigen Austausch mit den neuesten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung", so die alte Prämisse von Walter Scheel*4.

Die 70er Jahre

Infolgedessen kommt dem historischen Netzwerk LAV, mit dem geballten Wissenspool seiner Mitglieder und nach dem geänderten Focus der Bundesregierung, in den 70er Jahren eine besonders herausragende Position zu. Aufgrund der sich verändernden und schwierigeren politischen Verhältnisse durch restriktive Regierungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent, suchen Minister den stetigen Austausch mit den gut informierten Kennern Lateinamerikas, um sich ein Bild von der tatsächlichen Situation in den unterschiedlichen Ländern des Kontinents zu machen.

Zudem benötigen viele deutsche Mitgliedsunternehmen ebenfalls die Unterstützung des LAV und ziehen handelspolitisch Nutzen aus dem Erfahrungspotential ihres Vereins. Die großen deutschen Konzerne wollen hohe Auftragsvolumen in Lateinamerika bedienen und der deutsche Mittelstand sucht seinen Weg in die internationalen Märkte. Das deutsche industrielle Know-how ist gefragt unter lateinamerikanischer Staaten, die nach Fortschritt durch Industrialisierung ihres Landes streben. Peru, Venezuela, Brasilien, Mexico und Argentinien, fast alle lateinamerikanischen Staaten haben den "lebendigen Wunsch nach Zusammenarbeit" mit der Bundesrepublik. In dieser Situation ist der Verein durch seine historisch gewachsenen Verbindungen nicht nur eine Schnittstelle für alle involvierten Parteien, sondern eine Ressource für den gesamten Außenhandel mit Lateinamerika.

Um seinen Anforderungen als Berater noch besser gerecht zu werden, intensiviert der LAV seine Arbeit ab 1972 in Gremien, den sogenannten Ländersektionen, die bis heute in ähnlicher Form bestehen. In jenen Jahren besteht für fast jedes Land dieser kleine Kreis von besonders interessierten Mitgliedern, die sich in einem Unternehmen rund vier Mal im Jahr treffen, um die Meinungen zur wirtschaftlichen, politischen oder auch gesellschaftlichen Situation in einer Region untereinander auszutauschen. Diese Gremien unter der Führung eines jeweiligen Sektionsleiters sind in der außenwirtschaftlichen Beratung besonders gefragt, da sie zu den Analysen der deutschen Politik und zur Verbesserung der jeweiligen außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen beitragen.

Dazu existierten in jenen Jahren die "Argentinische" und die "Brasilianische Gemischte Kommission" aus Politik und Wirtschaft, die vom BMZ organisiert worden sind, und zu denen immer ein Vorstand des LAV gehört hat. Für Argentinien nahm der Bankier Freiherr von Berenberg-Gossler und für Brasilien vermutlich Carl Friedrich Petersen von Münchmeyer Petersen & Co. an den Gesprächen teil. Die bilateralen Kommissionen förderten die deutsch-lateinamerikanischen Beziehungen und fanden mit dem Pendant des jeweiligen Landes wechselseitig statt.

Unabhängig von verschiedenen Politikern, die stets den Kontakt zum LAV gesucht haben, war Scheel genauso wie Erhard zuvor (in acht Jahren fünf Mal zu Gast) ein immer gern gesehener und häufiger Besucher. Insgesamt vier Mal besuchte er in all seinen Ämtern den Lateinamerika Tag*5: 1964, 1966, 1973 und 1976.

Yvonne Steiner, BRS Dortmund, März 2016

*1 Der heutige Lateinamerika Verein (LAV) hieß in den 70er Jahren Ibero-Amerika-Verein (IAV)
*2 Bundespräsident von 1974-1979
*3 Institut für Ibero-Amerika-Kunde, heute GIGA Institut für Lateinamerika-Studien
*4 www.bmz.de Kapitel Entwicklungspolitische Forschung
*5 Jahreshauptkonferenz des Lateinamerika Vereins, Hamburg
Prospekt aus 1972-1973
Quelle: LAV
Prospekt aus 1972-1973
Aus dem Jahres- und Tätigkeitsbericht LAV 1973
Quelle: LAV
Aus dem Jahres- und Tätigkeitsbericht LAV 1973