Carmen Miranda
"The Brazilian Bombshell"
Hollywoods Inkarnation der rassigen Latina
in den 40er Jahren
„Ich muss meine Mutter so lange verrückt gemacht haben, bis sie nachgab, mich ins Kino schmuggelte und ich mir die tanzende Carmen Miranda im Kino anschauen durfte. Aber nur die Tanzszenen, alles andere wurde meiner Mutter wohl zu frivol“, erzählt Christoph Schmitt*1. Es muss ungefähr 1960 gewesen sein und Christoph Schmitt gerade einmal acht Jahre alt, als er unbedingt diese für ihn faszinierende „Sexbombe mit dem Tutti-Frutti-Hut“ im Kino sehen wollte. „Meine Mutter wird wohl irgendwie die Frau an der Kasse bestochen haben“, so erzählt er, „denn ich hatte ja gar nicht das Mindestalter für diesen Film.“
Carmen Miranda ist zu der Zeit schon fünf Jahre tot, aber sie sollte noch viele Jahre das Bild „der rassigen, hüftschwingenden, etwas unmoralischen Verführerin“ prägen. Zudem befriedigte sie jegliche Stereotype der angelsächsischen Welt gegenüber Lateinamerikanern – lächelnd, laut, mit viel Musik und Lebenslust den Tag unter den Palmen genießend. Hollywood, der Stoff aus dem die Träume sind. Wie ist es dazu gekommen?
Die Geschichte ist wie folgt: Eine sehr gut aussehende Portugiesin, Jahrgang 1909, wächst in Rio de Janeiro auf und wird als Hutmacherin selbstständig. Dieser Umstand wird für den weiteren Verlauf dieser Geschichte in zweifacher Hinsicht wichtig: Erstens wegen ihrer Entdeckungsgeschichte, zweitens wegen ihrer verwegenen, kitschig-bunten, großen Hutkreationen. Es heißt, sie sei in den 20er Jahren per Zufall als Sängerin entdeckt worden, als ein Kunde sie in ihrem Hutsalon hörte. Und so wird sie ein Radiostar der ersten Stunde mit festem Vertrag, der in den 30er Jahren als Megastar in den ersten Filmrollen zu sehen ist.
1939 geht sie mit ihrer Band „Banda da Luna“ in die Staaten und wird dort zur „Brazilian Bombshell“ , zum Latina-Sexsymbol stilisiert, die 1940 sogar für Präsident Roosevelt im Weißen Haus gesungen haben soll und 1941 in Hollywood ihre Fuß- und Handabdrücke in Zement am „Chinese Theater“ hinterlässt.
In jenem Jahr 1939 trägt sie ein Kostüm, das als das Baiana-Kostüm schlechthin in die Film- und Modegeschichte eingeht, obwohl diese schrille Neuinterpretation der traditionellen Kleidung der afrikanisch geprägten Brasilianerin im Staate Bahia nur noch wenig mit dem Original zu tun hatte. Auch scheinen Mirandas Filmkostüme mit jeder Produktion knapper geschnitten zu sein: Weniger Stoff, mehr Haut, dafür ausladender Kopfschmuck mit Obstpyramiden. Und die afro-brasilianische Samba-Musik „in weißer Kleidung“ erreicht die hohe Politik:
In den 40er Jahren sind südamerikanische Rhythmen in den USA sehr en vogue. Die Musik stimmte die Menschen heiter, und die opulenten, farbenprächtigen Hollywood-Revuen lenkten den Blick der Bevölkerung 1941 besonders gut vom grausamen Krieg ab. Zudem unterstützte Hollywood die amerikanische Regierung damit in ihrem Wunsch, eine gute Nachbarschaft zu den lateinamerikanischen Staaten zu pflegen, um den Einfluss Europas auf den Kontinent einzuschränken. Hier halfen nicht nur die musikalischen Hollywood-Spektakel von Century Fox, sondern auch Disneys Produktionen wie „Saludos Amigos“ 1942 und „The Three Caballeros“ 1944.
Carmen Miranda, 1946 einer der bestbezahlten Stars in Hollywood, ließ sich bewusst oder unbewusst „missbrauchen“. Zu spät wird sie erkannt haben, dass sie nicht nur das Klischee einer Latina á la „Rosita, Paquita oder Chiquita“ geschaffen, sondern auch das Bild von der Karibik und Lateinamerikas in der übrigen Welt geprägt hat.
Letztendlich ist die Geschichte der vielseitigen Künstlerin zwischen den Welten auch eine tragische. Carmen Miranda stirbt, ausgebrannt nach vielen Auftritten, mit nur 46 Jahren in ihrer Wohnung in Beverly Hills. Sie ist bis heute ein ambivalenter Mythos, aber bleibt die beste brasilianische Interpretin ihrer Zeit.