POLITIK UND GESELLSCHAFT

Resilient Cities

Die Vision einer belastbaren Stadt als Schlüssel zur Zukunft

Wenn über Smart Cities, Sustainable oder Resilient Cities gesprochen wird, dann ist das ganz sicher kein Aufgreifen vorübergehender Trendthemen. Der Zwang sich dieser Thematik zu stellen, entsteht aus der bloßen Tatsache, dass 2050 nach Berechnungen der UN rund 70% der Menschheit in Städten leben wird. Naturkatastrophen, Überalterung, mangelnde oder alte Infrastrukturen, Kriminalität, Seuchen, nur um Stichworte zu nennen, bergen für die schnell wachsenden Städte immense Herausforderungen oder fordern bereits ihren Tribut. Aber wie gehen Städte als weltweite Wachstumsmotoren mit diesen Fragen um, wie gut sind sie vorbereitet, um unter Schock und Stress jeglicher Art zu funktionieren?

"Resilient Cities" (100RC), ein Projekt der Rockefeller Stiftung, ist eine der Institutionen weltweit, die sich seit 2013 zum Ziel gesetzt hat, Antworten zu finden und die Störanfälligkeit der Städte zu senken. Das bedeutet, sie "resilienter“ also belastbarer, widerstandsfähiger und funktionstüchtiger zu machen, um den unterschiedlichen, aber dennoch universalen physischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begegnen zu können. Hört sich nach einem langen Veränderungsprozess an, allerdings handelt es sich um einen kritischen Zeitfaktor von knapp mehr als 10 Jahren.

Dem jüngsten Bericht der Weltbank zufolge (GFDRR*1), der vor der UN Konferenz zu Wohnbau und nachhaltiger Stadtentwicklung Habitat III, 2016 in Quito veröffentlicht wurde, könnten um 2030 Naturkatastrophen die Städte weltweit um die 314 Milliarden Dollar kosten und bis zu 77 Millionen Stadtbewohner durch den Klimawandel in die Armut getrieben werden, sofern nicht erheblich in Resilienz investiert werde.  

Ob kleinere oder größere Metropole, darunter 17 lateinamerikanische Städte von Juarez, Medellín, Santiago de los Caballeros, Rio de Janeiro, über Quito, Buenos-Aires bis Montevideo, sie haben jeder für sich ihren Handlungsbedarf erkannt und suchen die Partnerschaft unter den anderen 99 Städten des Netzwerkes 100RC, die gleiche Fragestellungen zu lösen haben. Sechs der siebzehn Städte haben bis Mitte 2017 Strategien vorgelegt und versuchen sie schnellstmöglich umzusetzen. Beispiel Großraum Santiago de Chile:

Megaerdbeben wie in 2010 mit einhergehendem Ausnahmezustand, Überschwemmungen, wie die durch den Fluss Mapocho in 2016, die die Wasserversorgung für Millionen Menschen kappte, soziales Ungleichgewicht, fehlende Ressourcen und eine überalterte Infrastruktur – das sind die Punkte auf der Roadmap Santiagos, die es zu bearbeiten gilt und die diese Stadt in ihrer Stabilität gefährden. Santiago scheint aus seiner Geschichte gelernt zu haben und reagiert auf den Handlungszwang. Mit der Strategie "Santiago Humano y Resiliente" will sich Santiago für den Notfall besser aufstellen

Die Statistik offenbart den engen Zeitrahmen zur Umsetzung von Umweltstandards, sozialen Veränderungen und Stadtentwicklungsprojekten. Ein paar Eckdaten: 60% der Gebiete, die auf dem Globus bis 2030 städtisch sein werden, sind noch nicht im Entwicklungsstadium. Bereits jetzt leben 881 Millionen Stadtbewohner weltweit in Slums. Die Weltbank hält eine jährliche Investition in Höhe von USD 4,5 Billionen in städtische Infrastrukturen für notwendig*2. Das birgt enorme Investitionschancen, wobei diese, so scheint es, von der Privatwirtschaft nicht in ausreichendem Maße ergriffen werden.

Einer der Partner von 100 Resilient Cities (100RC) im Bereich Infrastruktur ist der Technologiekonzern Siemens. In Zusammenarbeit mit dem angesehenen New Yorker Forschungsinstitut Regional Plan Association RPA und dem Beratungsunternehmen ARUP veröffentlichte Siemens in 2013 eine Untersuchung und ein "Werkzeug" zur Vorbeugung und Behandlung von Extremsituationen: "Toolkit for Resilient Cities". „Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Analyse ist, dass Technologie der Schlüsselfaktor zur Krisenbewältigung ist. Zum Beispiel smarte Stromversorgung, Software zur Automation von Zügen oder intelligente Verkehrsregelung, sagt Daniel Fernández, CEO Siemens Südamerika (ohne Brasilien) in Bogotá und Vorstandsmitglied des LAV in Hamburg.“

Eine Fallstudie der Untersuchung von Siemens betrifft das Thema Stromnetz, denn dieses Thema ist und bleibt für die Megazentren dieser Welt von überlebenswichtiger Relevanz. Nichts funktioniert mehr ohne Strom. Ohne Strom gibt es weder Kommunikation, noch Transport, noch Versorgung, noch öffentliche Sicherheit – ein kompletter Kontrollverlust staatlicher Organe.

Erfahrungen im Bereich Stromnetz sammelte Siemens in New York City. Die Stadt hat während des kurzen aber heftigen Hurricanes Sandy, im Oktober 2012 einen gigantischen Stromausfall erlebt. Mit einer Windstärke von fast 140 kmh und einer knapp vier Meter hohen Flutwelle ist das komplette Handels- und Wirtschaftszentrum lahmgelegt worden, und es hat geschätzte Kosten von 50 Milliarden USD verursacht. Einige 100 Tausend Menschen blieben tagelang ohne Strom. Seither beliefert Siemens das Energieversorgungsunternehmen für New York City und Umgebung mit Transformatoren, die aufgrund ihrer Beschaffenheit innerhalb kürzester Zeit nach einer Katastrophe ausgetauscht werden können.

Sandy hinterließ nicht nur in New York Zerstörung historischen Ausmaßes. Der Hurricane zog bekanntlich weiter nach West Virginia, wobei er vor den USA bereits auf den Bahamas, Jamaika, Kuba und Haiti verheerende Schäden anrichtete. Aufgrund des Klimawandels ist anzunehmen, dass die Häufigkeit solcher Desaster ansteigen wird und mit der Frequenz das Bedürfnis, für solche Horrorszenarien gewappnet zu sein.

Tatsächlich muss erst ein Bewusstsein für den Ernst der Lage geschaffen werden. „Bei Resilienz handelt es sich vor allem um das Überleben auf der globalen Welt, aber auch um den Erhalt des erlangten Wohlstandes unabhängig von der Herausforderung, der sich die Städte gegenübersehen“, so Daniel Fernández.

Auffällig ist, dass sich keine einzige deutsche Stadt unter den von der Organisation ausgesuchten "100 Resilient Cities" befindet, wobei siebzehn europäische Städte Teil des Netzwerkes sind. Deutsche Städte finden sich unter den Mitgliedern der Organisation ICLEI, Regional Governments for Sustainability, die den Begriff der Nachhaltigkeit in den Vordergrund ihrer Arbeit stellt. Welcher Begriff und damit Denkansatz den "Kampf" um eine sichere, lebenswerte Zukunft für unsere Städte und seiner Menschen besser beschreibt, wird letztendlich den Ergebnissen geschuldet bleiben und der Fähigkeit, für ein Ziel zusammenzuarbeiten.

Yvonne Steiner, Mai 2017


Quellen:
http://www.100resilientcities.org
*1 Global Facility for Disaster Reduction and Recovery
*2 www.worldbank.org/en/news/feature/2016/10/12/habitat-iii-that-once-every-20-years-global-urban-event
Panama City
Quelle/Rechte: Yvonne Steiner, BRS Dortmund
Panama City
LAT-Magazin 2014, Titelbild Santiago de Chile
LAT-Magazin 2014, Titelbild Santiago de Chile
LAT-Magazin 2013, Titelbild Mexico Stadt
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LAT-Magazin 2010, Titelbild Buenos Aires
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LAT-Magazin 2012, Titelbild Panama City
LAT-Magazin 2012, Titelbild Panama City
Quelle/Rechte: Lateinamerika Verein e.V.