Bitte keine tristen Farben
„Oscar de la Renta was an immigrant and
weren’t we proud and grateful that he was?“
Hillary Clinton im Februar 2017 in Ihrer Laudatio zur Veröffentlichung
einer Briefmarken-Serie mit de la Rentas Entwürfen.
El Caballero Latino Oscar de la Renta 1932-2014 – ein Stück Kulturgeschichte
Wenn wir über skandinavisches Möbel-Design sprechen oder über italienische oder französische Mode, dann weiß jeder, was gemeint ist. Aber was ist denn lateinamerikanische Mode? Provokant gefragt: brasilianische Bikinis oder kultige Havaianas?
Der dominikanische Gentleman wie auch US-amerikanische Mode-Ikone Oscar de la Renta war der Auffassung, es könne nicht über eine lateinamerikanische Mode gesprochen werden, man könne nur über die Lateinamerikanerin sprechen, die einen großen Sinn für Weiblichkeit hätte. Die Wahrnehmung in Deutschland spräche dafür, denn wer identifiziert Carolina Herrera schon mit venezolanischer Mode oder Estéban Cortázar mit kolumbianischer, wobei die Vorgenannten alle in den USA beheimatet sind. Heute sei die Mode definitiv global, eine „globale Projektion des Lebens“, erklärt de la Renta im Interview 2013.
Der Mann, der nach eigenen Aussagen Frauen immer nur verschönern wollte, und es von Jacky Kennedy über Nancy Reagan bis Hillary Clinton auch tat, ist 2014 verstorben. Oscar de la Renta war einer der letzten "Altmeister" und wohl der bislang bedeutendste lateinamerikanische Modeschöpfer des 20. Jahrhunderts. Auf die Frage, was von ihm nach seinem Tod in Erinnerung bleiben würde, antwortete de la Rente oft mit einem Schmunzeln: Oscar de la Renta – ein schönes Kleid.
Aber dies ist bescheiden formuliert und weit untertrieben. Denn der Meister der Eleganz, der bis zum Schluss mit 82 noch Chefdesigner seines Lables war, ist nicht nur für sein Geburtsland ein großer Verlust; auch in seiner Wahlheimat USA war der Dominikaner für viele Latinos ein Vorbild dafür, dass man seine Identität nicht verlieren muss, um in den USA erfolgreich und anerkannt zu sein. Denn Oscar de la Renta hatte diesen lateinamerikanischen Charme, die Sinnlichkeit und Kreativität, die sich in den weiblichen, eleganten und farbenprächtigen Kreationen von ihm wiederfinden und mehr als eine Generation begeisterten. Er mochte einfach „keine tristen Farben“. In der Computersprache würde man sagen: Oscar de la Renta hatte eine lateinamerikanische Programmierung über die Kindheit und Erziehung, die sich trotz der rund 50 Jahre im Ausland im Wesentlichen nicht veränderte.
De la Renta ist in der Dominikanischen Republik als Óscar Arístides Renta Fiallo 1932 geboren und sollte in das Versicherungsgeschäft seines Vaters einsteigen. Seine Mutter jedoch unterstützt ihn nach dem Schulabschluss mit 18 Jahren in seinem Willen, in Spanien Kunst zu studieren. Dort verdient er sich etwas Geld als Mode-Illustrator. Während der Wartezeiten bei den Fashion-Shows zeichnet er eigene Entwürfe. Der spanische Designer Balenciaga, der damals in den 50er Jahren einer der ganz Großen auf der Modebühne war, wird auf ihn aufmerksam. Der Beginn einer einzigartigen Karriere, die ihn in Europa von Christóbal Balenciaga zu Christian Dior und Lanvin nach Paris führt und 1963 zu Elisabeth Arden in die USA. Bereits 1965 startet er in New York mit seinem eigenen Geschäft.
In jener Zeit, in der es nicht viele Karrieren für Latinos in der Branche gab, konnte man couture-technisch die USA noch als "armen Cousin Europas" bezeichnen. Es beherrschte eher die Massenfertigung den Markt. So wird Oscar de la Renta in den USA als erster "Amerikaner" der Haute Couture gesehen.
Mit einem guten Geschäftssinn und seinem starken Willen beginnt de la Renta ein Modeimperium aufzubauen. „Man muss die Messlatte hoch ansetzen – wenn das nicht klappt, etwas nach unten anpassen.“ Schritt für Schritt erweiterte er seine Produktpalette um Kosmetik, Düfte, Accessoires, Möbel, Schmuck, Schuhe oder Brautmode.
Die sozialen Veränderungen in der Welt zu verstehen, sah er als Basis für seine kreative Arbeit, wobei er den "Irrungen des Zeitgeistes" stets widerstand. Guter Geschmack ist rar ebenso wie Genialität, hat der Modeschöpfer gemeint und offensichtlich vielen Prominenten geholfen, ihren Stil zu finden. Er stattete etliche First-Ladies und Stars für die besonderen Momente im Leben aus. So zuletzt Amal Alamuddin zu ihrer Hochzeit mit dem Schauspieler Georg Clooney 2014.
In jenem Interview mit der bekannten mexikanischen Journalistin, Adela Micha, im Juni 2013 merkt der Zuschauer deutlich, dass zwei Latinos "unter sich" sind. Oscar de la Renta mit seinen 80 Jahren charmant mit Temperament und viel Humor, gewährt sehr persönliche Einblicke in sein Leben. Er habe keine traurige Geschichte eines harten Lebens in den USA zu erzählen, er sei durch die breite Tür gegangen. Obwohl er offensichtlich seine Identität nie hat verleugnen müssen, gibt der Gentleman dem Zuschauer sehr wohl für einen kurzen Moment zu verstehen, wie steinig der Weg für einen Immigranten sein kann. Er habe immer formale Kleidung getragen. Vielleicht aus einem Komplex, fügt er schmunzelnd hinzu, dass man ihn, wenn er legerer (wie in Punta Cana*1 mit offenem Hemd ohne Krawatte) auftauche, den Boteneingang für Latinos zuweise. Seine Sorge erscheint unbegründet. Die Ikone der Haute Couture wird nur allzu gern von den US-Amerikanern einverleibt; eine überaus gelungene Integration, wie im Februar 2017 aus den Worten Hillary Clintons zu entnehmen ist.
Der Diplomat der Mode galt Jahrzehnte als inoffizieller Botschafter der Dominikanischen Republik. Dort hat er sich mit großem Engagement für wohltätige Zwecke eingesetzt. 1982 gründete er das Waisenhaus "Hogar del Nino" mit rund 1.500 Kindern, die hier nicht nur sozial aufgefangen werden, sondern medizinisch versorgt sind und sich schulisch entwickeln können. Seinen Sohn Moises hat er dort als Baby adoptiert. In dem Waisenhaus wird er schmerzlich vermisst; augenscheinlich hatte der Philanthrop kaum ein Fest mit den Kindern ausgelassen.
Was bleibt also von dem Menschen, der seinen Wurzeln treu blieb und sie positiv zu nutzen wusste? Was bleibt vom „einzigen Dritte-Welt-Designer“, so wie er sich scherzhaft einmal bezeichnet haben soll, der zur Mode-Legende wurde? Definitiv mehr als ein schönes Kleid.