POLITIK UND GESELLSCHAFT

Ökonomie versus Ökologie

Nicht Wachstum gegen Klimaziele, sondern kein Wachstum ohne Klimaziele, sagt Humboldtianer und Georg‐Forster Preisträger Britaldo Soares Filho.

Auf der Erde existieren nur noch wenige Regenwaldblöcke. Eines der größten dieser zusammenhängenden Urwaldgebiete ist das Amazonas-Becken. Es erstreckt sich über mehrere Staaten Südamerikas, wobei der größte Teil, d.h. eine Fläche größer als Westeuropa, in Brasilien liegt. 20% der ursprünglichen Fläche sind bereits entwaldet. Dass dieser Wald eine Schlüsselrolle für unser Weltklima spielt und daher sprichwörtlich existentiell ist, weiß die Weltgemeinschaft. Sie bewegt sich jedoch, was die Klimaziele anbelangt, nicht ausreichend.

Nun steckt gerade Brasilien in einer schwierigen Situation; quasi in einem Dilemma als Hüterin dieser Kronjuwelen und dem verständlichen Wunsch, das eigene Land und seine Bevölkerung wirtschaftlich und sozial weiterzuentwickeln. Gerade in einer konjunkturschwachen Phase und dem nationalen wie auch internationalen Druck, Wirtschaft und Infrastruktur Brasiliens zu fördern, sind Argumente für einen Paradigmenwechsel erfahrungsgemäß schwer unterzubringen.

Auswege aus dem Dilemma 

Ein Wissenschaftler, der sich intensiv mit dieser Zwangslage seiner Heimat Brasilien befasst, ist der Leiter der Kartographie an der Universität von Belo Horizonte in Brasilien, Britaldo Soares Filho. Der Geowissenschaftler ist spezialisiert auf das Environmental Modelling, der 3D-Simulation der Umwelt und Standortplanung. Er zeigt Politik und Wirtschaft einen möglichen Weg aus dem Dilemma. Er schafft Alternativen, indem er mit seiner Forschung hilft, die Auswirkungen von veränderten Umwelt- und Standortszenarien zu bewerten, und damit solide Entscheidungsgrundlagen liefert. Dieses Jahr ist der international anerkannte Wissenschaftler dafür mit dem Georg-Forster-Forschungspreis für klimarelevante Forschung von der deutschen Humboldt-Stiftung ausgezeichnet worden.

Die digitale Simulation SimBrasil/Otimizagro wurde entwickelt, um für gesamt Brasilien Antworten auf drängende Fragen zu finden: Wieviel Co2 Emissionen ergeben sich aus der Entwaldung, welche Umweltauswirkungen ergeben sich langfristig für Brasilien und den Globus, usw. Soares liefert Landwirtschaft und Viehzucht neue Sichtweiten, belegt unabhängig von der ökologischen, die ökonomische Dimension und Bedeutung des Amazonas-Beckens. „Ökologie und Ökonomie müssen sich nicht entgegenstehen, im Gegenteil“, sagt er, „ohne den Amazonas wird die Produktion nicht nur sehr teuer, sondern vielleicht unmöglich, denn es besteht eine Abhängigkeit.“ Höheres Wirtschaftswachstum kann aus seiner Sicht nur mit dem Klimaschutz und dem Schutz des Amazonas erfolgen. Und Professor Soares liefert Beispiele aus den exportstarken Schlüsselbranchen:

Der Amazonas ist eine riesige Wasserpumpe, der Regen wird recycled. Der schleichende Verlust des Waldes zöge wachsende Dürreperioden nach sich. Der wasserintensive Anbau von Soja würde kostenintensiv oder unmöglich. Des Weiteren hat Brasilien eine geringe „Viehdichte“ pro Quadratkilometer, wobei die meiste Abholzung stattfindet, um Weideland zu erhalten. Durch eine Verdichtung der Viehhaltung mit einer Verringerung des Flächenverbrauches, ließe sich Land für die Ausweitung der Agrarindustrie einsparen. So könne das Ziel der Produktionserweiterung um 40% zur Deckung des zukünftigen Bedarfs auf dem Weltmarkt erreicht werden, ohne weiter zu roden.

Bereits 1986 arbeitete der Wissenschaftler Soares an Geoinformationssystemen. 1998 entwickelt er an der Universität ein Simulationsmodell, das mögliche Zukunftsszenarien für den Amazonas aufzeigt und mit dem die Abholzung vorausberechnet und veranschaulicht werden kann. Welche Dimension seine Forschungen hatten, war Soares auch in 1999 noch nicht bewusst. Erst als er einen Anruf von Conservation International (CI), der Umweltschutz NGO aus Washington DC erhielt, bekommt das Projekt größere Konturen. Denn Gordon und Beth Moore, die Gründer von Intel, haben über ihre Stiftung eine Menge Geld bereitgestellt für das "The Amazon Szenarios Project". Und CI benötigte genau seine Expertise für das Projekt, dessen Ziel es war, die Politik zu begleiten, verständliche Leitlinien zu entwickeln und so das Umweltschutzprogramm in Brasilien voranzutreiben. In 2002 folgte ein Projekt zwischen der NASA und der brasilianischen Regierung, das hunderte Wissenschaftler zusammenführte: LBA*1. Denn es war zwar bekannt, dass der Amazonas das globale Klima regulierte, aber wie er es beeinflusste, das musste auch in 2002 immer noch erforscht werden.

Meilensteine 

Mitte der 2000er Jahre beschlossen Nationen und Interessensgruppen, den verhängnisvollen Trend in der Rodung von ca. 25000 km2 Regenwald pro Jahr im Amazonas aufzuhalten. (2016 ca. 7000 km2 p.a.) „Es war ein Meilenstein für mich, die Politik zu beeinflussen und der Abholzung Grenzen zu setzen. Wir haben unserer Gesellschaft gezeigt, dass die globale Erwärmung durch sie selbst verursacht wird“, erzählt Soares, „das war wichtig“. Dafür erhielt der UNO-Klimarat (IPCC) mit Al Gore 2007 den Friedensnobelpreis. Soares ist einer der Wissenschaftler, der mit seinen Ausarbeitungen für den IPCC zum vierten Klimabericht an dem Nobelpreis teilhat.

Aktuell ist der Professor in Projekte des Ministeriums für Wissenschaft eingebunden, da Brasilien sich sehr ambitionierte Ziele zur Begrenzung des Klimawandels bis 2030 gesetzt hat und sich verpflichtet, 43% der Treibhausgase einzusparen, das mit dem Stopp der illegalen Rodung des Regenwaldes einhergehen muss. „Wir haben riesige Verantwortung auf unseren Schultern zu tragen, aber wir benötigen Hilfe“, appelliert der Forscher. Brasilien verfügt zwar über Gesetze, wie den Forest Code - der auch private Grundbesitzer verpflichtet, Naturschutzzonen auszuweisen und aufzuforsten, wo vorher illegal abgeholzt wurde - , aber nicht über die Mittel, dieses riesige Naturschutzgebiet zukunftsträchtig zu verwalten und diese Gesetze auch durchzusetzen.

Soares ist der Auffassung, dass der Schutz des Amazonas nicht allein auf den Schultern der tropischen Länder liegen sollte. Er benötige die Anstrengung der Weltgemeinschaft. Maßnahmen wie durch REDD+*1 in 2005 und der 2008 von Präsident Lula da Silva gegründete Fonds zur Rettung des Regenwaldes gehen in diese Richtung. Der Fond wird auch von der Bundesrepublik unterstützt, aber vor allem mit großen Summen von Norwegen getragen.

Soares rüttelt auf: „Der Klimawandel wird eine Massenvölkerwanderung auf der Welt in Gang setzen. Die europäische Flüchtlingskrise ist nichts gegen das, was sich als Ergebnis des Klimawandels in der Zukunft anbahnt.“ Soares ist der festen Überzeugung, dass die Welt einen Paradigmenwechsel benötige. Allerdings ist er sich der Schwierigkeiten bewusst: „Jeder will ein gutes Leben haben. Deswegen ist die Angelegenheit kompliziert. Es ist nicht nur das Anwachsen der Weltbevölkerung, sondern auch die Verbesserung des Lebensstandards.“ Die Klimaverträge von Paris und deren Ziele reichten bei weitem nicht aus, um die globale Erderwärmung unter zwei Grad zu halten. Auch nicht, wenn alle Staaten ihre Versprechen einlösten. „Ich denke wir brauchen eine Revolution von Grund auf, um diesen Verlauf rückgängig zu machen. Aber alle Nationen möchten nur das Minimum machen, um das Maximum zu erreichen. Das wird nicht funktionieren.“ Er müsse als Umweltschützer optimistisch bleiben, sonst könnte er seine Arbeit gleich einstellen, so beantwortet Soares die Frage, ob er oft verzweifele. „The optimist says: The future will be bright, but there will be great costs for the society.”  

 

Yvonne Steiner, BRS Dortmund, Dezember 2016

*1LBA: Large scale biosphere-atmosphere experiment in Amazonia
*2REDD+ - Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries „Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle des Waldschutzes, der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und des Ausbaus des Kohlenstoffspeichers Wald in Entwicklungsländern“  
Professor Dr. Britaldo Soares Filho (Mitte) bei der Überreichung seiner Urkunde 2016 anlässlich des ihm verliehenen Georg-Forster-Forschungspreises für klimarelevante Forschung 2015. Rechts im Bild Professor Helmut Schwarz, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und links Thomas Silberhorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Foto: Humboldt-Stiftung/Barthel Bamberg
Professor Dr. Britaldo Soares Filho (Mitte) bei der Überreichung seiner Urkunde 2016 anlässlich des ihm verliehenen Georg-Forster-Forschungspreises für klimarelevante Forschung 2015.

Die Alexander von Humboldt-Stiftung

Die Alexander von Humboldt-Stiftung fördert Wissenschaftskooperationen zwischen exzellenten ausländischen und deutschen Forscherinnen und Forschern. Sie vergibt jährlich über 700 Stipendien und Preise, mit denen Wissenschaftler aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um ein selbst gewähltes Forschungsprojekt mit einem Gastgeber und Kooperationspartner durchzuführen. Wissenschaftler aus Deutschland können mit Unterstützung der Stiftung ins Ausland gehen und dort mit einem Mitglied des Humboldt-Netzwerks zusammenarbeiten. Dem Netzwerk der Humboldt-Stiftung gehören über 27.000 Humboldtianer aller Disziplinen aus über 140 Ländern an – unter ihnen 54 Nobelpreisträger.

Hier weitere Beispiele hochrangiger Wissenschaftler aus Lateinamerika:
Harald Andres Helfgott, als erster Lateinamerikaner ausgezeichnet mit der Alexander von Humboldt-Professur 2015, dem höchstdotierten internationalen Forschungspreis Deutschlands. Er kommt aus Peru und forscht derzeit in Göttingen. Er entwickelte 2013 einen Lösungsweg für die Schwache Goldbachsche Vermutung.

Ebenfalls Georg Forster-Forschungspreisträger ist der Physiker Ado Jorio, Professor an der Universidade Federal de Minas Gerais in Belo Horizonte, Brasilien. Sein Forschungsgebiet ist die Raman-Spektroskopie an Kohlenstoffnanoröhrchen. Hier setzt er als führender brasilianischer Wissenschaftler mit einem von ihm entwickelten Verfahren international Akzente. Auch seine Arbeit als Lehrer und seine Vorbildfunktion für junge brasilianische Forscher werden hoch geschätzt.

Luis Velazquez-Perez, Humangenetiker aus Kuba hat durch seine Forschung maßgeblich zum Wissen über eine Krankheit beigetragen, mit der sich die Medizin bisher kaum beschäftigt hat: Spinozerebelläre Ataxien (SCAs) sind eine neurologische Krankheit, die weltweit nur sporadisch vorkommt. In Kuba ist sie jedoch lokal häufig verbreitet. Der in seinem Heimatland ausgebildete neurophysiologische Humangenetiker konnte unter anderem zur präventiven Diagnose der Krankheit beitragen und nachweisen, dass und wie sie sich in der Welt verbreitet hat. Luis Velazquez-Perez nutzte die Auszeichnung mit dem Georg Forster-Forschungspreis 2013 für die Kooperation mit Kollegen am Institut für Molekulare Neurogenetik am Universitätsklinikum Frankfurt am Main. 

Quelle: Alexander von Humboldt Stiftung 
Britaldo Soares-Filho bei dem indigenen Volk der Xingu im Nationalpark Xingu in Brasilien.
Quelle/Rechte: Britaldo Soares Filho
Britaldo Soares-Filho bei dem indigenen Volk der Xingu im Nationalpark Xingu in Brasilien.