Heinzelmänner und Karl May
Werbewelt und Zeitgeist der 60er Jahre – ein Blick in das Unternehmensarchiv der BASF
In den 60er Jahren – als die BASF sich immer weiter über Joint-Ventures, Akquisitionen, die Erweiterung vorhandener Produktionsstätten und durch Planung neuer Werke zu einem transnationalen Unternehmen entwickelt –, hat der Konzern bereits eine weit über 50-jährige Tradition in Lateinamerika und 95 Jahre Firmengeschichte zu erzählen.
Ungeachtet dieser langjährigen Expertise bezeugen Dokumente aus dem Unternehmensarchiv die kontinuierliche Auseinandersetzung der Mitarbeiter des Konzerns mit den fremden Kulturen, den Traditionen und der Geschichte eines jeden Landes, in dem die BASF unternehmerisch aktiv geworden ist, wobei zuweilen die betroffenen Mitarbeiter in Lateinamerika zwischen den Welten wandeln wie Forscher auf unentdecktem Terrain.
Wie sehr das geschehen ist, sehen wir an verschiedenen zeitgeschichtlichen Dokumenten, die aus heutiger, globaler Sicht einige Unsicherheiten spiegeln und einige skurrile Blüten der Vorstellungskraft über den lateinamerikanischen Kontinent im aufstrebenden Nachkriegsdeutschland deutlich machen. Sie zwingen den Leser oder Betrachter zum Schmunzeln und zum Nachdenken.
Zitat aus dem Bericht „Das Farbstoffgeschäft in Mittelamerika“ im Informationsbrief des BASF-Verkaufs aus dem Jahr 1967*1: „Der Indianer hat – jedenfalls was die Vorliebe für kriegerische Betätigung anbetrifft – nichts mit den Büchern Karl Mays gemein. Er ist friedlich, treibt Ackerbau und Viehzucht und ist als Textilhandwerker ein gern gesehener Abnehmer für Indigo und Indanthren-Farbstoffe.“
An Klischees mangelt es in den 60er Jahren nicht, und das liegt nicht nur an Karl May und seinen Cowboy- und Indianer-Mythen. Da werden die Deutschen als wahre Heinzelmännchen auf Produktetiketten geprägt, plakativ Düngemittel in eine fast hawaiianische oder zuweilen auch toskanische Idylle gestellt, wie auch stets attraktiv kokette, vor allem europäisch aussehende Frauen in der Landwirtschaft erfolgreich tätig zu sein scheinen.
Unabhängig von diesen gängigen Klischees in der Gesellschaft oder der Werbewelt steht die konsequente, positiv zugewandte Beschäftigung mit dem Land und seiner Bevölkerung, mit denen die BASF Geschäfte machen möchte – und das oft Jahrzehnte lang, wie wir sehen. „Brasilien ist und bleibt das Land der Zukunft. Der liebe Gott ist Brasilianer!“, schreibt begeistert der 1955 nach Brasilien entsandte Manager der BASF Dr. Wilhelm Pfannmüller in sein Tagebuch. „Die industrielle Entwicklung des Landes gewinnt zunehmend an Bedeutung. Man spricht vielfach von ganz Lateinamerika als dem Kontinent der Zukunft. Diese Zukunft ist aber schon angebrochen“, sagt der Verkauf im Informationsbrief der BASF 1969*2.
„Lichtecht, waschecht, wetterecht“, so ist auf einem historischen Plakat zu lesen. Das sind die durchschlagenden Argumente, die den einheimischen „Textilhandwerker“ überzeugen, von seiner uralten Tradition des Färbens mit Naturfarbstoffen abzuweichen, die von den deutschen Fachleuten mit großem Respekt betrachtet wird.
Die Anfänge der „Textilmanufaktur“ durch Meisterbetriebe, die schon feine Alpaka-Wolle z.B. in Peru verarbeiteten, reichen nach Fachmeinung bis in die vorchristliche Zeit. Die Suche nach Farben und der wachsende Bedarf der Europäer gehörte „zu den Treibkräften der überseeischen Entdeckungsfahrten“. Die Pflanzenfarben in Blau, Gelb, Rot, Violett, Grün oder Braun und diverse Schattierungen wurden in Südamerika aus den Grundstoffen wie der Pflanze Indigofera (Indigo) oder Blättern des Pfeffer- oder Pernambukbaumes, auch als Brasilholz bekannt, und Blüten wie der Färbermistel, diversen Wurzeln und Rinden durch Abkochen in großen Tongefäßen gewonnen*3.
Und da man eben Eulen nicht nach Athen trägt, hat die BASF in Lateinamerika das synthetische Indigo und die Indanthrenfarben vertrieben, die dem Färber die erwünschten Vorteile „lichtecht, waschecht, wetterecht“ bieten und der neuen Technik, d.h. der häufigen Maschinenwäsche, bis heute gewachsen sind. Sachargumente treffen auf echte Bedürfnisse und diese lassen die bunte Werbewelt in den Hintergrund treten. „In den letzten Jahren hat die Verwendung von Indocarbon stark zugenommen, wobei die Qualitätsansprüche amerikanischer Touristen maßgeblich sind. Sie verlangen von den als Andenken eingehandelten typischen reichbemusterten Baumwollartikeln gute Lichtechtheit und Waschbarkeit in der Maschine.“ So lautet es im Bericht des Verkaufs aus Mittelamerika 1967*4.
Die BASF, die Badische Anilin-& Soda-Fabrik, ist durch ihre Farbherstellung auf synthetischer Basis bekannt geworden. 1897 bringt die BASF das von ihr entwickelte synthetische Indigo auf den Markt. Ab 1901 folgen weitere Verkaufsschlager, die Indanthren-Farbstoffe, noch wasch- und lichtechter. Indanthren wird quasi das Synonym für die BASF, der Produktname, der allerspätestens in den 60er Jahren bei Färbermeistern weltweit Standard ist, wobei das synthetische Indigo nochmals richtig Furore macht, als die Jeanshosen in Mode kommen.