Der Lateinamerika Verein in den 50er Jahren und seine Rolle
Der II. Weltkrieg hinterlässt ein zutiefst gespaltenes, zerstörtes Land. Zerstört auch im Sinne von Ansehen und Vertrauen. Zerstört auch in sämtlichen Strukturen im Sinne eines Staatsapparates, der die Demokratie anstrebt. Alle offiziellen Verbindungen zu anderen Staaten müssen neu aufgestellt, alle Verträge überprüft oder neu abgeschlossen werden. Leben muss der Bundesrepublik Deutschland erst eingehaucht werden.
Einer Organisation wie dem Lateinamerika Verein in Hamburg (LAV) kommt deshalb in den Anfangsjahren der neuen Bundesrepublik besondere Bedeutung am Wiederaufbau zu. Der LAV, der 1916 von Hamburger und Bremer Kaufleuten mitten im 1. Weltkrieg als „Hamburgischer Ibero-Amerikanischer Verein“ gegründet wurde, und somit eine derartige schwierige Situation schon einmal gemeistert hat, verfügt über ganz persönliche und auch familiäre Beziehungen in den Lateinamerikanischen Ländern. Eine wesentliche Rolle spielen die zahlreichen „Auslandsdeutschen“, wie es damals hieß. Sie unterstützen die neue Republik. Trotz des Stillstandes der Vereinsaktivitäten in den Kriegsjahren, können die alten Kontakte nach und nach wieder aktiviert werden.
Das macht sich auch die Regierung Adenauer zu Nutze. Am 12. Oktober 1949, nicht einmal sechs Monate nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, findet der erste Lateinamerika-Tag des LAV als Wirtschaftskongress deutscher und lateinamerikanischer Unternehmer in Deutschland statt. Festredner ist der 1. deutsche Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (1949-1963).
Am 6.März 1951 erfolgt die Revision des Besatzungsstatutes*1. Erstmalig erhielt die Bundesrepublik nach dem Krieg wieder das Recht auf die Führung einer selbständigen Außenpolitik. Adenauer ist nach der Revision nicht nur Bundeskanzler, sondern nach der Ernennung durch Bundespräsident Heuss in Personalunion Außenminister. Jetzt ist Adenauer in der Lage, ein Auswärtiges Amt zu begründen, ein Amt, das Grundstein eines jeden souveränen Staates ist.
Schnittstelle LAV
Allerdings hat die Bundesrepublik bis 1955 noch keine volle Souveränität in auswärtigen Angelegenheiten. Die Aufnahme der Tätigkeit des Ibero-Amerikanischen Vereins Hamburg-Bremen e. V., so hieß der LAV zu der Zeit, ist nach dem Kriegsende gerade deswegen so wichtig und interessant für die Unternehmen. Dieser Außenhandelsverband bildet eine Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, schlägt die kulturelle Brücke zu Lateinamerika.
Über die Teilnahme an den Länderausschüssen der Regierung werden verschiedene bilaterale Außenhandelsverträge mit auf den Weg gebracht. Bereits kurz nach der offiziellen Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 werden die ersten Handelsverträge mit Kolumbien geschlossen. Ein Sonderrundschreiben des Ibero-Amerikanischen Vereins vom 17. Juni 1949 weist darauf hin.
Mitte Oktober 1952 gibt es zwar in der damaligen Hauptstadt Bonn schon 40 ausländische Vertretungen und im Ausland 37 deutsche Botschaften, Gesandtschaften, wie auch 40 Generalkonsulate und Konsulate. Dennoch ist für ihre Einrichtung die Zustimmung der Alliierten Hohen Kommission*2 notwendig gewesen*3.
In den ersten Jahren der 50er reisen verschiedene Delegationen aus Lateinamerika nach Deutschland. Zum Beispiel aus Kolumbien, Chile, Brasilien und Cuba, um nur einige zu nennen. Einige sind angereist, um alte Verträge aus den Vorkriegsjahren wieder zu aktivieren, andere um neue Handelsverträge zu ratifizieren. Der Lateinamerika Verein betreut vielfach diese Delegationen und fördert im gleichen Zuge den Kontakt zu den Unternehmern, zu den Institutionen. Und bald ist das Netzwerk für die Mitglieder des Vereins wieder komplett funktionstüchtig.
Dieser frühzeitigen und intensiven Arbeit des heutigen Lateinamerika Vereins und seiner Unternehmer ist es ein stückweit zu verdanken, dass Hamburg heute im Jahre 2014 ein Zentrum für die nach Lateinamerika orientierte Wirtschaft und Politik darstellt. Hamburg ist nicht nur Sitz unterschiedlichster Institutionen von GIGA bis EULAC, sondern zählt auch mehr als 15.000 Bürger mit spanischer- und portugiesischer Muttersprache, die die wirtschaftliche und auch kulturelle Vielfalt der Stadt ausmachen.*4