KULTUR

"... Europa hat unermeßlich mehr Tradition und weniger Zukunft, Brasilien weniger Vergangenheit und mehr Zukunft!" Stefan Zweig

Von Schönheit geblendet

Die Tragik um das Buch "Brasilien – Ein Land der Zukunft"

Wie reagiert ein brasilianischer Schriftsteller, der unter der Zensur in seinem Land leidet, dessen Bücher 1937 in Salvador da Bahia öffentlich verbrannt werden und der aufgrund seiner sozial-politischen Einstellung für Monate in Rio inhaftiert wird im Jahr 1941 auf ein Buch, das Brasilien zu einem der "vorbildlichsten und liebenswertesten Ländern der Welt" erklärt? Wir können es nur erahnen.

Die Rede ist von einem der bekanntesten Autoren Brasiliens Jorge Amado und dem ebenfalls weltberühmten österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig*1, der 1941 mit seiner Ehefrau Lotte im brasilianischen Exil gelebt hat, nachdem er das Land 1936 kennenlernte. Dort schreibt er seine seither vielzitierte und in einigen Punkten durchaus weitsichtige "Liebeserklärung an Brasilien": Das Buch "Brasilien – Land der Zukunft".

Stefan Zweig sieht in Brasilien ein Vorbild, das in hervorragender Weise das „Zentralproblem“ und die drängende Frage jeder Generation gelöst habe; nämlich wie auf unserer Erde „das friedliche Zusammenleben der Menschen trotz aller disparaten Rassen, Klassen, Farben, Religionen und Überzeugungen“ zu erreichen sei. Diese Überzeugung ist Zweig so wichtig, dass er sie eindringlich zum Kernpunkt der Einleitung seines Buches macht. Ein Blick auf das Leben des Kosmopoliten und Humanisten Zweig wie auch auf den Kontext lässt uns verstehen, weswegen er zur Einheit der Menschheit aufruft und welcher Impuls in trieb, Brasilien als das Idealbild der Zukunft mit einer „neuen Art der Zivilisation“ zu sehen.

Zweig, Wiener Jude, Jahrgang 1881, der den zerfleischenden I. Weltkrieg erlebt, setzt sich in seinen Schriften gegen Radikalismus, Nationalismus und für ein geeintes Europa ein. Doch er wird zum zweiten Mal den Fanatismus und die sich anbahnende Selbstzerstörung Europas mit ansehen müssen. 1936 reist der Autor zum Kongress des Pen-Clubs nach Argentinien und weiter nach Brasilien. Zu diesem Zeitpunkt lebt er bereits in England, wohin er frühzeitig - nach Repressalien der Faschisten in Österreich - 1934 emigrierte. In Deutschland dürfen seine Bücher seit 1935 nicht mehr erscheinen. Die Nürnberger Rassengesetze sind erlassen und Zweigs Werke stehen auf der Liste der Bücherverbrennung. Und dann, ein Jahr darauf, der triumphale Empfang vom brasilianischen Präsidenten Getúlio Vargas höchstpersönlich. Er ist mehr als überwältigt von Freundlichkeit der Menschen und der Schönheit dieses Landes, das er selbst rückblickend in kultureller Hinsicht „mit einer törichten Arroganz“ betrachtet haben will.

 

1940 entschließt sich der nun britische Staatsbürger Zweig mit seiner Ehefrau, aus Furcht vor der Invasion der Deutschen, England zu verlassen, um nach verschiedenen Stationen wieder in das Land einzureisen, das ihn früher so beeindruckt hat: Brasilien. Zum Erstaunen vieler erhält der jüdische Schriftsteller ein Dauervisum, trotz der Tatsache, dass die brasilianische Regierung damals grundsätzlich keine jüdischen Flüchtlinge einreisen ließ.

Genau dieser Umstand führte rückblickend zu dem tragischen Missverständnis, das Stefan Zweig die letzten Monate seines Lebens in Brasilien isolierte: Linksintellektuelle wie Jorge Amado, waren der Ansicht, dass die Aufenthaltserlaubnis Zweigs über die positive Darstellung Brasiliens von Vargas erkauft worden ist. Alberto Dines, Autor des Buches "Tod im Paradies – Die Tragödie des Stefan Zweig", meint, dass Zweig diese Meinung sehr verletzt habe. Auch wenn für das Dauervisum eine positive Darstellung Brasiliens Bedingung gewesen sein könnte, ist die Begeisterung für Brasilien und die humanistische Botschaft Zweigs sicherlich aufrichtig und ernst gemeint.

Denn Brasilien erscheint Stefan Zweig als kompletter Gegenentwurf zu seinen bisherigen Erfahrungen im Europa des Rassenwahns. Wie ein Wunder sieht er ein Land, in dem offensichtlich alle ungeachtet der Hautfarbe und der Religion zusammenleben können. Zweig und seine Frau scheinen sich der politischen und gesellschaftlichen Spannung in Brasilien zu der Zeit nicht bewusst zu sein, sie bewegen sich wie begeisterte Touristen, die nur vor die Fassade schauen. Allerdings ist es in dem "Estado Novo", dem neuen Staat, den Getúlio Vargas aufbauen wollte auch schwierig gewesen, neutrale Positionen zur Politik zu erfahren.

Im Februar 1942 begehen Stefan und Lotte Zweig in ihrem Haus in Petrópolis, Brasilien Selbstmord. Zweigs Hoffnung, vom Krieg weit genug entfernt zu sein, zerbricht; der Kriegseintritt Brasiliens im August 1942 zeichnete sich ab. Seine Kräfte sind so wie er sagt „durch die langen Jahre heimatslosen Wanderns erschöpft“.

In seinem Abschiedsbrief "Declaração" heißt es: „Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Land Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber von Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet…“.

Jorge Amado und Stefan Zweig sind sich, soweit bekannt, weder persönlich begegnet, noch haben sie miteinander kommuniziert. Wie sähe wohl die Geschichte aus, wenn es anders gekommen wäre.

Yvonne Steiner, BRS Dortmund, Juli 2016

*1 Stefan Zweig *28.11.1881 †23.02.1942
Quellen: www.casastefanzweig.org / Alberto Dines
Fundação Casa de Jorge Amado, Salvador
Stefan Zweig mit seiner zweiten Ehefrau Charlotte 1940
Quelle/Rechte: Casa Stefan Zweig, Petrópolis
Stefan Zweig mit seiner zweiten Ehefrau Charlotte 1940
Stefan Zweigs unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Brasilien, ausgestellt vom brasilianischen Konsulat in Buenos Aires im November 1940.
Quelle: Casa Stefan Zweig, Petrópolis
Stefan Zweigs unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Brasilien, ausgestellt vom brasilianischen Konsulat in Buenos Aires im November 1940.
Die letzte Station der Odyssee des Ehepaares Zweig. Das renovierte Wohnhaus des Schriftstellers in Petrópolis ist heute ein Museum mit persönlichen Gegenständen, Fotos und Dokumenten, die die Erinnerung an Stefan Zweig pflegen und gleichzeitig eine Gedenkstätte des Exils für andere Intellektuelle, die vor dem Nationalsozialismus in Deutschland Zuflucht in Brasilien suchten. Träger der "Casa Stefan Zweig" ist ein gemeinnütziger Verein.
Quelle: Casa Stefan Zweig, Petrópolis, Foto: Ruth Freihof
Die letzte Station der Odyssee des Ehepaares Zweig. Das renovierte Wohnhaus des Schriftstellers in Petrópolis ist heute ein Museum mit persönlichen Gegenständen, Fotos und Dokumenten, die die Erinnerung an Stefan Zweig pflegen.