Eine Medaille hat immer zwei Seiten
Hapag, Norddeutscher Lloyd*1 und die Olympiade in Berlin 1936 aus dem Blickwinkel der Logistik
Könnten wir die Berliner Olympiade im August vor 80 Jahren aus ihrem politisch- ideologischen Kontext lösen, würden wir ganz unbeschwert in Superlativen schwelgen. Leider bleiben zwei sehr unterschiedliche Seiten für immer "in dieser einen olympischen Medaille" verbunden. Einerseits die Ästhetik im Design, die vollendete Dramaturgie der Spiele als Perfektion in Reinkultur als auch die logistische, organisatorische Meisterleistung. Andererseits der Missbrauch der olympischen Idee als irreführendes Propaganda-Instrument des NS-Regimes im In- und Ausland, der zum „trügerischen Glanz eines mörderischen Systems“*2 führte.
Mit fast 4000 Athleten aus 49 Nationen stellten die Olympischen Spiele in Berlin einen neuen Teilnehmer- und Besucherrekord auf. Diese Gäste wollten alle adäquat untergebracht, beköstigt und betreut sein. Frauen spielten keine große Rolle, um im Bild zu bleiben, denn nicht einmal 10% der Teilnehmer waren weiblich. Aus Lateinamerika und der Karibik nahmen 10 Länder teil, wobei es für die Olympia-Neulinge Bolivien und Costa Rica mit jeweils einem Teilnehmer wohl hieß: dabei sein ist alles.
Vor diesem Hintergrund stellte die Olympiade insbesondere den Norddeutschen Lloyd (NDL) aus Bremen vor große Herausforderungen. Das Organisationskomitee für die XI. Olympiade Berlin 1936 e.V. beauftragte die traditionsreiche Reederei als seinen Treuhänder mit der „besonders ehrenvollen Aufgabe“ bei der Planung, Einrichtung und Ausstattung der Unterkunfts- und Wirtschaftsräume für die Sportler maßgeblich mitzuwirken. Zudem wurde der NDL verantwortlich für die Verpflegung und Betreuung sämtlicher Olympioniken.
Allein im olympischen "Dorf des Friedens" wurde im "Speisesaal der Nationen" mit beachtlichen 38 Speisesälen, die jeweils einer Nation zugedacht waren, möglichst landestypisches Essen serviert. In den Häusern des Dorfes, mit modernen 10-12 Doppelzimmern, waren in einem Zimmer jeweils zwei Stewards des NDL untergebracht und für die Rundumbetreuung der Sportler zuständig. Nebenbei erwähnt sei, dass das Olympische Dorf den Männern vorbehalten war und es nach der Olympiade zur "schönsten Kaserne der Welt" umfunktioniert wurde, wie es auch bereits beim Bau geplant war.
Wie der NDL zu dieser umfassenden Sonderaufgabe kam, ist laut Hapag-Lloyd nicht genau zu sagen, wobei das Reich in den 30er Jahren Mehrheitsaktionär der NDL und der Hapag war. Zudem waren die Reedereien mit 80 oder 90 Jahren Firmengeschichte zu der Zeit die Logistiker schlechthin – wie wir heute sagen würden – mit einer großen Erfahrung im Transportwesen, im Tourismus, im "Catering" auf den Schiffen, und sie waren dementsprechend service-orientiert.
Der Geschäftsbericht des NDL für das Jahr 1936 listet wie folgt auf:
"5217 Kämpfer und Kämpferinnen mit 102050 Verpflegungstagen, 589 Mann Personal mit 73778 Verpflegungstagen wurden aus 50 Küchen verpflegt. Die Beköstigung wurde den Gewohnheiten der teilnehmenden 53 Nationen und den Anforderungen der verschiedenen Sportarten angepasst. Hierfür stellte der Norddeutsche Lloyd von seinem Personal 654 Mann Küchen- und Bedienungspersonal, 34 Mann Verwaltungspersonal und 20 Stewardessen, zusammen 708 Köpfe zur Verfügung". (Anmerkung: Die Differenz in den Statistiken ist ungeklärt.)
Um diese Mammutaufgabe bewältigen zu können, war eigens eine neue Wirtschaftsabteilung des NDL innerhalb des Organisationskomitees gebildet worden. Dem Leiter dieser Aktion, Kapitän Pütz wurde nach den Spielen das Olympia-Ehrenkreuz 1. Klasse verliehen. Es scheint also alles reibungslos geklappt zu haben.
Die Reederei Hapag wiederum sorgte u.a. für den sicheren Transfer von Mensch und Tier. Auf der "Caribia" und der "Orinoco" erreichen die Olympioniken aus Mexico, Ecuador, Kolumbien und El Salvador Mitte Juli Deutschland. Zuvor ging die "New York" mit der mexikanischen Polomannschaft mit mehreren wertvollen Pferden in Hamburg vor Anker. Denn Polo war 1936 noch olympische Disziplin und jeder Spieler benötigte zum Spiel mindestens zwei Pferde.
An die vier Millionen Zuschauer verfolgten die Spiele im Stadion und verbreiteten die Vision einer "friedvollen und weltoffenen Nation". Anreize zu einem Besuch der Olympiade boten die von der Reichsbahn geförderten Reiseangebote. Der Norddeutsche Lloyd und der Reichssportblatt-Reisedienst veranstalteten Sonderzugfahrten zu den Spielen und vertrieben die Fahrscheine zu Zugpreisen, die bis zu 60% reduziert waren. Über ein Agenturnetzwerk und seine Reisebüros hatten Hapag und NDL viele Eintrittskarten im Ausland verkauft. Der ausländische Fremdenverkehr spülte dringend benötigte Devisen in die Reichskasse, denn die Touristen mussten ihre Eintrittskarten oder Bahnkarten mit Devisen bezahlen. Und der nordatlantische Passagierverkehr boomte.
Die vom Propagandaministerium strategisch geplanten Olympischen Spiele 1936 gingen mit Meilensteinen der Olympia-Geschichte zu Ende: Weitreichende Rundfunk-und Fernseh-Direktübertragungen, der erste Fackellauf von Griechenland zur Sportstätte seit der Antike, die Ästhetik der Lichtinszenierungen. „Auch wenn es damals Fachbegriffe wie 'Supply Chain' oder 'Logistik' noch gar nicht gab: Unternehmen wie der Norddeutsche Lloyd haben im Rahmen der Olympiade eindrucksvoll unter Beweis stellen können, dass Großveranstaltungen ohne professionelle Transport- und Distributionslogistik nicht würden stattfinden können. Das war schon damals so – und ist es heute umso mehr“, so Nils Haupt, Leiter der Konzernkommunikation Hapag-Lloyd AG.
Avery Brundage, IOC Präsident 1952-1973, blieb so heißt es, sein Leben lang der Überzeugung, dass die Berliner Spiele „die schönsten in der modernen Geschichte waren. Ich dulde darüber keinen Disput.“, so zitiert die Zeitung "Die Welt" vom 08.05.2008. Aus dem Munde des Mannes, der hinter den Kulissen die Fäden "pro Berlin" gezogen und so Hitler zu der Austragung der Spiele verholfen haben soll, ein zweifelhaftes Kompliment. Aber wie gesagt, eine Medaille hat immer zwei Seiten.
Yvonne Steiner, BRS Dortmund, Juli 2016
Quellen:
Unternehmensarchiv Hapag-Lloyd AG
www.bpb.de /www.lemo.de/Bundesarchiv
*1 Beide Unternehmen sind Gründungsmitglieder des Lateinamerika Vereins in Hamburg
*2 Emmerich, Alexander: Olympia 1936 : trügerischer Glanz eines mörderischen Systems / Köln : Fackelträger, 2011
Max Warburg
1933: Hapag entlässt seinen großen Lenker
Durch Albert Ballin, Generaldirektor der Hapag*1, entwickelte sich die Reederei Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer der größten der Welt. Sein Freund, Max Warburg, liberal-konservativer Hamburger aus jüdischer Familie, war Gestalter und Aufsichtsratsmitglied der Reederei von 1911 bis 1933. Als internationaler Bankier und geschätzter Berater der hohen Politik wirkte er bis zu dem Zeitpunkt, als das NS-Regime seinen Abschied aus dem Aufsichtsrat der Hapag im Frühsommer 1933 erzwang.
Da niemand der Vorstandskollegen es wagte, zu seinem erzwungenen Abschied aus dem Aufsichtsrat eine sonst selbstverständliche Rede zu halten, ergriff Warburg selbst das Wort und hielt mit tiefsinnigem Humor eine Rede auf sich selbst, die zur Persiflage gereicht haben soll. Diese wohl berühmteste Anekdote über Max Warburg gibt es naturgemäß in verschiedenen Versionen.
Sein Sohn Eric Warburg beschreibt die „geladene Atmosphäre“ über den Bericht eines damals anwesenden Freundes, Claus-Gottfried Holthusen, in seinem Buch „Zeiten und Gezeiten“. Hier wird die Rede seines Vaters wie folgt wiedergegeben:
„Meine sehr geehrten Herren, lieber Herr Warburg! Zu unserem großen Bedauern haben wir davon Kenntnis nehmen müssen, dass Sie den Entschluss gefaßt haben, aus dem Aufsichtsrat der Gesellschaft auszuscheiden, ja diesen Entschluss als unwiderruflich bezeichneten. Wir bedauern dieses ganz außerordentlich, zumal Sie der Gesellschaft noch in letzter Zeit nicht nur materiell beigestanden, sondern ihr auch ideell Ihre ganze Erfahrung und Kenntnisse zur Verfügung gestellt haben, um diese durch die schwere finanzielle Krise, die sie durchlebte, hindurchzuführen. In der jahrzehntelangen Zugehörigkeit zur Gesellschaft haben Sie sich gerade diesem Unternehmen besonders verbunden gefühlt und ihm mit Rat zur Seite gestanden. Wir vergessen nicht – und auch Sie werden sich daran erinnern –, daß Sie zur Zeit der Blüte der Hamburg-Amerika-Linie, als sie die größte Reederei der Welt war, in kritischer Stunden Herrn Ballin vor unüberlegten plötzlichen Entschlüssen bewahrten – es war die Zeit der Aufträge für die Imperatoren-Klasse, in der sich der Konflikt zwischen Albert Ballin, dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zu einer Krise des Unternehmens auszuweiten drohte. Ihnen, lieber Herr Warburg, gelang es durch Ihr persönliches Eingreifen und durch Ihre Freundschaft zu Albert Ballin, die Übereinstimmung wiederherzustellen. Wir haben Ihnen dieses nicht vergessen. Und nun wünsche ich Ihnen, lieber Herr Warburg, einen ruhigen Lebensabend, Glück und Segen in Ihrer Familie. Wir wissen von Ihnen, daß Sie sich bereit erklären, immer Ihren Rat zur Verfügung zu stellen, wenn wir Sie darum ersuchen sollten.“
In der Biographie der Historikerin Gabriele Hoffmann, die 2009 erschien, bringt Warburg die Dinge verbal schärfer auf den Punkt: "Die große und mächtige deutsche Schifffahrt ist vornehmlich das Werk zweier Juden. Der eine ist der verstorbene Albert Ballin. Der andere ist der Mann, der die Ehre hat, vor Ihnen zu stehen. (...)“
Seine Zivilcourage, durch die er vielen jüdischen Deutschen das Leben rettete, ohne an sein eigenes Wohl zu denken, war beeindruckend und wird immer wieder betont. Der deutsche Patriot Max Warburg emigrierte 1938 in die USA, nachdem die Warburg Bank der Arisierung zum Opfer gefallen war. Er verstarb 1946 in New York.
Yvonne Steiner, BRS Dortmund, Juli 2016
*1 Anmerkung: Die Hamburg-Amerika-Linie/Hapag als auch der Norddeutsche Lloyd sind 1916 Gründungsmitglieder des heutigen Lateinamerika Vereins.
Reisebüro im Hotel Atlantic
Die Hamburg-Amerika Linie (Hapag) betrieb viele Jahre ein Reisebüro direkt im Hotel Atlantic. Albert Ballin, Vorstand der Hapag bis zu seinem Tod 1918, hatte den „Schnelldienst Hamburg-New York“ im Unternehmen eingeführt und gilt als einer der Erfinder der Kreuzfahrten. Er soll den Impuls für „ein Luxushotel“ in Hamburg gegeben haben, damit die gehobene Klientel der Hapag-Luxusliner ein entsprechendes Quartier in Hamburg erhielten. Wie wichtig 1909 dieses Thema „Ozeanschifffahrt“ war, sieht man an der Architektur des Hotels, das nicht nur optisch mit der Weltkugel als Gallionsfigur auf dem Dach und dem maritimen Interieur einem Schiff angelehnt ist, sondern sich auch insgesamt an den Bedürfnissen der Reisenden orientierte: Die Flure der Hotelgeschosse sind „extra breit“, um dem riesigen Format der Lederkoffer der Wilhelminischen Zeit gerecht zu werden. Das Logieren der Hapag-Kreuzfahrtgäste wurde in der Folge zur Tradition.