LAV

Die Zeit, in der das Gewissen geschwiegen hat.

Der Latein-Amerikanische Verein Hamburg-Bremen E.V. und die Vereinsführung in den 30er Jahren

Die vergilbte Satzung des heutigen Lateinamerika Vereins aus dem Jahre 1936, in der es unter Paragraph 4 heißt: „Der Verein hat ordentliche und Ehrenmitglieder. Firmen und natürliche Personen können die ordentliche Mitgliedschaft erwerben, wenn Sie Reichsdeutsche sind und in bzw. von oder nach Lateinamerika tätig waren oder noch tätig sind (…)“, diese Satzung enthält einen kleinen, unscheinbaren Zettel, der mit Maschine beschriftet 1939 über jenen Paragraphen geklebt wurde. Die kurze Änderung lautet: „Nichtarier und nichtarische Firmen können nicht Mitglied des Vereins sein. Lt. Mitgliedervers. v. 10.2.1939.“

Im Jahr 1933 nach der Machtergreifung Hitlers wird der Arier-Paragraph nach und nach in Institutionen und Wirtschaft umgesetzt. Fast mit einem Gefühl der Erleichterung wird das Jahr 1939 wahrgenommen, in der Hoffnung, dass die Vereinsführung sich "bis zum Letzten" gegen den Ausschluss ihrer jüdischen Mitglieder gewehrt hat, wobei wir wissen, dass der Regierung an einer funktionierenden Außenwirtschaft gelegen und der Reichsregierung die nicht zu unterschätzende Handels- und Wirtschaftskraft jüdischer Unternehmen sehr bewusst war.

Nach der Weltwirtschaftskrise und dem Ende der Weimarer Republik werden die 30er Jahre in Deutschland durch staatliche Reglementierung und Durchdringung der Wirtschaft und Gesellschaft in Vorbereitung des "totalen Krieges" bestimmt. In diesem Zusammenhang wird die Zeit von 1933 bis 1937 oft als "Inkubationszeit" in der Wirtschaft und der Umformung der Gesellschaft bezeichnet. Auslandsvereinigungen, wie der Lateinamerika Verein, sind dem Reich besonders wichtig gewesen, da ihm die Erholung der angeschlagenen Wirtschaft ein drängendes Anliegen war und die Wirtschaft selbst an einem Devisen- und Rohstoffmangel litt. So offenbaren die traditionell guten Verbindungen zu Lateinamerika Möglichkeiten, diese Defizite zu mildern und für die Rüstungswirtschaft dringend benötigte Rohstoffe zu erhalten. Nach 1934 erfährt der deutsche Lateinamerika Handel einen regelrechten Aufschwung.

Durch die politisch und wirtschaftlich turbulente Zeit von 1921 bis 1933 führt Anton Hübbe den damaligen Lateinamerika Verein. 1872 geboren, liberaldemokratischer Gesinnung, arbeitet er nach einer Lehre als Kaufmann in London, in Hamburg und später in Mexiko Stadt. Dort wird er Teilhaber eines Bankhauses wie auch Kgl. Norwegischer Konsul in Mexiko. Hübbe berät die 1906 gegründete Deutsch-Südamerikanische Bank bei Filialgründungen in Lateinamerika und wird so 1911 bis 1931 in den Vorstand der Überseebank – kurz Deutsch-Süd oder DSB genannt – mit Sitz in Hamburg berufen, wobei er dort zu gleicher Zeit Leiter der Hamburger Niederlassung der Dresdner Bank ist, dem Mutterkonzern der Deutsch-Süd.

Und da die Gründer der DSB keine „Experten für das Lateinamerikageschäft“*1 gewesen waren, entschied die Bank sich in Institutionen und Gremien einzubinden, die diese Expertise hatten und im Gegensatz zu ihnen den Kontinent, die Wirtschaft und die Gesellschaft kannten. Und so ist die Deutsch-Südamerikanische Bank 1916 eines der Gründungsmitglieder der "Hamburgischen Ibero-Amerikanischen Vereins" (heute LAV).  

Auf der anderen Seite ist es für einen Verein, dessen Hauptinteresse in der Förderung der Wirtschaft zwischen Deutschland und Lateinamerika liegt, bis heute wichtig, Banken und deren Finanzfachleute zu ihren Mitgliedern zu zählen. So steht Anton Hübbe von 1921 bis 1934 der Geschäftsstelle der Deutschen Handelskammern in den lateinamerikanischen Ländern kurz (GELATEINO) vor. Zudem war die direkte Verbindung zur Handelskammer gegeben, dessen Präsident Anton Hübbe von 1927 bis zu seinem Wechsel 1931 in den Vorstand der Dresdner Bank in Berlin gewesen ist.

Ihm folgt sein Sohn Herrmann Victor Hübbe als Vorsitzender des Lateinamerika Vereins, der sich aus GELATEINO im Juli 1934 als Latein-Amerikanischer Verein Hamburg-Bremen E.V. "neu gründet", und er bleibt es bis Februar 1939 bzw. wechselt später in die Stellvertreterfunktion.

Der in Mexiko geborene Bankier mit mexikanischem Pass gehört von 1937 bis 1966 dem Vorstand der Deutsch-Süd an, der Bank, für die er 1921 in Berlin und Buenos Aires gearbeitet hatte, um danach in die Schröder Banking Corporation, New York zu wechseln. Der welterfahrene Hermann Victor Hübbe ist von 1933 bis 1937 ebenfalls Präses der nun allerdings gleichgeschalteten Handelskammer Hamburg. Er verstirbt 1972, ist zu der Zeit Aufsichtsratsmitglied der DSB und dem Lateinamerika Verein noch immer verbunden.

Bis dahin ähneln sich die Lebensgeschichten von Vater und Sohn, der Apfel scheint nicht weit vom Stamm gefallen zu sein. Beide erfolgreiche Bankiers im internationalen Geschäft der Dresdner Bank, durch die Auslandsaufenthalte interkulturell versiert und eingebunden, beide Präses der Handelskammer Hamburg und ausgewiesene Lateinamerika-Experten mit vielschichtigem Engagement im Lateinamerika Verein.

 

In der politischen Orientierung schlägt Hermann Victor Hübbe allerdings eine andere Richtung als sein Vater ein, der noch 1931 eine Publikation mitfinanziert, in der demokratische Politiker der Hansestadt Hamburg vor Hitler warnen*2 und der mit Max Warburg*3 befreundet gewesen ist. In jenem Jahr wurde die Dresdner Bank in Folge der Weltwirtschaftskrise bis 1937 zur Staatsbank; die Reichsregierung hatte die Aktien übernommen. So währte die Vorstandstätigkeit des Vaters Anton Hübbe bei der Dresdner Bank auch nur kurz bis 1932.

Hermann Victor Hübbe tritt bereits früh 1933 in die NSDAP ein und entwickelt die Hamburger Filiale der DSB, die er seit 1932 leitet, zu einem „nationalsozialistischen Vorzeigebetrieb“*4. 1937 wird er in den Vorstand der DSB nach Berlin berufen. Nach Kriegsbeginn leistet er den Wehrdienst im Oberkommando der Wehrmacht, wo vermutlich wieder seine Lateinamerika Expertise gefragt ist und sie ihn so vor dem Frontdienst bewahrt. In den letzten Kriegsjahren hat Hübbe nachweislich im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin in der Abt. 6*5 gearbeitet, einer Abteilung, die eine Art Wirtschaftsspionage für die Wehrmacht und die SS betrieb. Wer immer in diesem Machtzentrum des NS-Terrorapparates arbeitete, war jedenfalls gut informiert.

In welchem Ausmaß Hübbe für seine Tätigkeit im RSHA den Lateinamerika Verein und seine Netzwerke nutzte, bleibt offen, obwohl seit 1936 bis mindestens 1942 sogenannte Marktbeobachter für den Lateinamerika Verein in verschiedenen Ländern unterwegs waren, die die Wirtschaftslage in Brasilien, Uruguay, Peru und Venezuela beurteilen und melden sollten.*6

Die Finanzierung dieser Sonderaufgabe ist in den ersten Jahren vorrangig durch den Werberat der Deutschen Wirtschaft erfolgt und über den Verband der Deutschen Handelskammern in Übersee geleitet worden, dem die drei Regionalvereine – Ostasien Verein, Afrika-Verein und Lateinamerika Verein – als "korporative" Gründungsmitglieder angehörten.*6 Der 1934 gegründete Verband war satzungsgemäß zur Zusammenarbeit mit den „Organisationen und Gliederungen der NSDAP“ verpflichtet. (Siehe Satzung Verband der Deutschen Handelskammern in Übersee §3.)*7 Unter "Einzelmitglieder" ist Hermann Victor Hübbe unabhängig von seiner Vorstandstätigkeit im Verband selbst aufgeführt.

Was bleibt nach solchen Betrachtungen der eigenen Vergangenheit?

Christoph Schmitt, seit 2004 Geschäftsführer des Lateinamerika Vereins, dem Mitglieder seiner Familie seit den ersten Jahren nach Gründung angehörten, meint, dass Hermann Victor Hübbe für viele Wirtschaftsführer der 30er Jahre stehe, die sich mit dem Regime arrangiert hätten. Schmitt erklärt weiter, dass unter der nationalsozialistischen Herrschaft der Verein Entscheidungen getroffen habe, wie z.B. die, die zum Ausschluss der jüdischen Mitglieder führte, und dass dabei das Gewissen geschwiegen habe. „Das bedauere ich sehr und hoffe, dass wir in Deutschland nie wieder in einer solch menschenverachtenden Diktatur werden leben müssen.“

Yvonne Steiner, BRS Dortmund, Juli 2016 

Quellen:
LAV; Historisches Archiv der Dresdner Bank; Koch, Peter-Ferdinand "Die Dresdner Bank und der Reichsführer SS", Hamburg 1987
*1, *2 , *4, *5 cf. Johannes Bähr, "Zwischen zwei Kontinenten", Hundert Jahre Dresdner Bank Lateinamerika vormals Deutsch-Südamerikanische Bank, S. 13 - 80
*3 Max Warburg , angesehener Hamburger Bankier und Politiker. Der deutsche Patriot musste zwangsweise aufgrund seiner jüdischen Herkunft die Warburg-Bank verkaufen und emigrierte in die USA.
*6 Berichte des Verbandes der Deutschen Handelskammern in Übersee 1938-1941
*7 „Die drei Regionalvereine sind mit in dem Verband der Deutschen Handelskammern in Übersee zusammengefasst, der nach §3 seiner Satzung seinen Zweck insbesondere dadurch verfolgt, dass er (....) 3. die Zusammenarbeit der Mitgliedsvereine mit den amtlichen Stellen des Reiches und der Länder, mit den Organisationen und Gliederungen der NSDAP, mit der Reichswirtschaftskammer und ihren Gliederungen, insbesondere mit den Industrie- und Handelskammern Bremen und Hamburg, sowie mit allen sonstigen Organisationen, die für die Beziehungen Deutschlands zu überseeischen Ländern eingesetzt sind, fördert.“ Zitiert aus dem vertraulichen Tätigkeitsbericht der Regionalvereine und des Verbandes der Deutschen Handelskammern in Übersee aus Dezember 1941.
Hermann Victor Hübbe beim Lateinamerika-Tag Mitte der 1950er Jahre.
Foto: Conti-Press Hamburg, Quelle: LAV Hamburg
Hermann Victor Hübbe
 
Das Original der Niederschrift über die ordentliche Mitgliederversammlung vom 10.02.1939 mit dem Beschluss zur Satzungsänderung und Umsetzung des Arierparagraphen als "Ergänzung zur Tagesordnung" ohne weitere Wortmeldungen.
Quelle: LAV, Hamburg
Satzung von 1936 mit der Satzungsänderung von 1939.
Quelle: LAV, Hamburg

Aufforderung zur Namensänderung

Aufforderung des Aufklärungs-Ausschusses Hamburg-Bremen vom 25.11.1940. Der Latein-Amerika Verein wurde mehrfach gedrängt, seinen Namen in "Ibero-Amerikanischer Verein" umzubenennen. Das Propagandaministerium wünschte die Vermeidung des Wortes "Latein-Amerika" und bat darum, "der Regelung dieser Frage noch einmal näher zu treten." Der Verein hatte bis zum Ende des NS-Regimes immer wieder Gründe "gefunden", weswegen er diesem "Wunsch" nicht nachkommen konnte.

Quelle: LAV, Hamburg